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Channel: Brittas Bratzen Blog
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Allein unter Männern

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- kleiner Leid(!)faden transidenter Überlebensstrategien  

Das vierte Kapitel - ich staune ein wenig, wie viel da plötzlich wieder hochkommt, wenn man erstmal im Flow ist.
In den lediglich zweieinhalb Jahren, die ich auf dem Internat verbrachte, drängt sich allerdings auch vieles, was mich ziemlich stark geprägt hat.

Zuhause gab es ja nun seit drei Jahren einen neuen Mann an meiner Mutter Seite. Und meinen Vater mußte ich auch gelegentlich besuchen. Sonst ging ich Jungs, wenn irgend möglich, aus dem Weg. Ich hatte wohl immer so zwei-drei Spielkameraden, die aber meist auch nicht wirkliche Ikonen der Männlichkeit waren.
In deren Gesellschaft fielen meine Defizite nicht so sehr auf, denen war egal, ob ich fußballspielen konnte, ob ich auf Bäume klettern oder von Garagendächern springen mochte. Die schätzten mich für meine skurilen Ideen, vielleicht auch, weil ich Gefühle zeigte und nicht auf den ihren herumtrampelte, wenn sie das auch taten.

Wähnte sich Försters Pucki so schon unter Wilden, hatte sie als frischgebackene Internatlerin nun das Gefühl, inmitten einer Menagerie wilder TIERE zu sitzen.
Nicht, dass es bei den Mädels sonderlich freundlicher zugegangen wäre: Die prügelten sich wohl weniger, tränkten es sich dafür mit katzenhaft süßem Lächeln heimlich ein, verzierten die Strumpfhosen der Rivalin mit Laufmaschen, schnitten der auch schon mal des Nachts die Haare oder pinkelten sich gegenseitig in die Parfüm-Flacons.
Dennoch schienen die bei aller hierarchischen Struktur so etwas wie Solidarität und Mitgefühl zu kennen. So ganz genau habe ich es nie herausgefunden - das war eine eigene, in sich geschlossene Welt, über die ein ältliches Fräulein (das auch darauf bestand, so angesprochen zu werden!) mit Argusaugen wachte. Ich fand, sie hatte etwas von Frau Malzahn. Ich hätte trotzdem lieber zu ihrer wohlbehüteten Herde seltsamer Prinzessinnen gehört, als in Ali Babas Höhle unter den Räuberkindern leben zu müssen.
So kam mir das nämlich vor. Da herrschte ein rauher (zuweilen auch durchaus herzlicher) Ton, an den ich mich nur langsam gewöhnte.
Die sprachen, wenn sie nicht gerade über Fußball oder Autos fachsimpelten, andauernd über rätselhafte Dinge, von denen ich so noch nie gehört hatte.
Von "Mösen" zum Beispiel. Komisches Wort. War mir bislang noch nicht untergekommen, bezeichnete offenbar Mädchen im allgemeinen oder die Freundin im Besonderen. Es hieß dann beispielsweise: "Ich komm' heut' nicht mit zum Fußball... geh mit meiner Möse ins Kino." - Aha.
Ich benutze das tolle neue Wort im Rahmen meiner mimetischen Bemühungen natürlich auch, wollte aber dann doch wissen, wie sich das eigentlich herleitete.
Weil ich mich aber nicht bei den Jungs als Hinterwäldlerin outen mochte, fragte ich eine Klassenkameradin, die ich gelegentlich im Mädchenhaus besuchte. Die brach ob meiner Unbelecktheit im schallendes Gelächter aus, deutete schließlich vielsagend zwischen ihre Beine...
Britta ahnte Unvorstellbares, hauchte kaum hörbar "V...agina???", was einen weiteren Heiterkeitsausbruch zur Folge hatte: "Ja, du Schussel! Vagina... Muschi... Pussy... Butze... Schnalle...!" -
Ufff... Britta machte große Augen... das alles waren Wörter, die sie hier wohl schon im Zusammenhang mit Mädchen gehört, aber nicht adäquat zu verorten gewußt hatte.
Konnte das möglich sein?? Dass Jungs die Mädchen - die eigene Freundin gar, die sie doch zu lieben vorgaben - derart reduzierten??
D. erläuterte, dass "Schnalle" das sei, wo der "Riemen" reinkäme.... okaaay... sinnfällig. "Muschi" und "Pussy" hätte nur in übertragenem Sinne etwas mit Kätzchen zu tun... auch klar... - Einzig "Butze" wußte sie nicht wirklich zu erklären. Ich erfuhr viel später, dass das Wort aus dem Berlinerischen stammt und eine kleine Wohnung oder einen Unterschlupf bezeichnet.
Auf meine Frage, ob Mädchen nun ihrerseits ihre Freunde als "Schwanz" oder vielleicht "Pimmel" bezeichneten, beschied sie mir, dass dass einfach "mein Typ", "Macker" oder "Freund" hieße - sonst würde schlicht der Name verwandt: das Beziehungsverhältnis wäre unter Freundinnen ja eh bekannt, müßte also nicht extra herausgestrichen werden.
Ich war erleichtert - zumindest die eine Hälfte der Menschheit war offenbar noch nicht vollends und hoffnungslos verroht - und beschloß, diese Begriffe aus meinem aktiven Wortschatz zu streichen.

D. war es auch, die ich irgendwann bat, mir die Augen zu schminken - angeblich lediglich, weil ich wissen wolle, wie ich mit Mascara und Kajal aussähe.
Ich hatte zwar oft meine Mutter beim Schminken beobachtet, auch selbst natürlich mit ihrem Krams experimentiert, das aber nie so richtig hingekriegt.
Sah süß aus, befand D. und versprach, das nicht weiterzuerzählen. Tat sie wohl auch nicht - es kam mir jedenfalls nie zu Ohren.
D. war nett, fast ein Jahr älter als ich und wurde mir so etwas wie eine Vertraute, wie die ältere Schwester, die ich gerne gehabt hätte, der ich mein Leid klagen und die ich Dinge fragen konnte, die ich andere nicht zu fragen wagte. Mich ihr ganz zu offenbaren traute ich mich aber nicht.

Die "Räuberkinder" kannten nicht nur komische Wörter, sie sprachen überhaupt viel über Sex (taten die "Prinzessinnen" vermutlich auch...) - 14-15-16-jährige sind wohl so.
Nicht, dass ich viel zu ihren Erzählungen beizutragen gehabt hätte, ich war ja mit allem ein wenig spät dran - aber wenn, dann hätte ich nie so schnodderig, so abwertend und vulgär darüber reden mögen. Die hielten das offenbar für männlich, extrem erwachsen und mit allen Wassern gewaschen - ICH fand es einfach nur mies, gefühllos und ein bisschen eklig.
Es wunderte mich überhaupt, dass die so gar kein Schamgefühl zu haben schienen: Die fanden offenbar nicht das geringste daran, splitterfasernackt im Zimmer umherzuhüpfen oder unter dieser entsetzlichen Gemeinschaftsdusche, die es einem nicht einmal ermöglichte, die Temperatur individuell einzustellen, körperliche Entwicklungen fachmännisch zu begutachten und darüber zu reden. Fremdartige Wesen.
Ich war eigentlich nicht wirklich prüde - zuhause liefen wir auch gelegentlich nackt herum - mochte mich aber Fremden nicht gern nackt zeigen. Ich schämte mich ein wenig für meinen Kinderkörper und fürchtete den direkten Vergleich. Auch fand ich, dass meine Brustwarzen ungewöhnlich groß waren, hatte Angst, dass das bemerkt werden könnte und zog mich deshalb auch beim Sport grundsätzlich der Wand zugekehrt um.
Sex interessierte mich eigentlich brennend - ich konnte meine Eltern nach absolut allem fragen und bekam immer ausführliche Antworten, las auch alles darüber, was ich in die Finger kriegen konnte - ich wollte nur einfach nicht SO darüber reden, wie das üblich zu sein schien.
Kekswichsen à la "Crazy" gab es bei uns gottlob nicht - aber ab und an beliebten meine Zimmerkameraden vor dem Einschlafen ein Wettonanieren anzuberaumen, was ich total entsetzlich und widerlich fand. Ich gab meist vor, bereits zu schlafen und hoffte, dass die möglichst schnell zu Potte kommen und Ruh geben möchten.

Das Zusammenleben mit Jungs war anstrengend und beängstigend. Ich war absolut ratlos, warum ich mich so fremd fühlte: Warum konnte ich nicht, was denen offenbar so leicht fiel? Warum mochte ich nicht, was die alle so toll fanden?
Körperlich sah ich die Ähnlichkeit zu ihnen - aber warum hatte ich trotzdem das verstörende Gefühl, unter diesen ganzen langsam zu Männern werdenden Wesen so schrecklich falsch zu sein??
Es konnte nicht angehen, dass ich es mit lauter Mutanten zu tun hatte - also waren die offenbar die Norm.

Aber was zum Teufel war dann ich??

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